DIRIGENT DER NACHT - eine Reportage

▽ Cafe Glocksee ▽ Hannover ▽


Tanzbären, Nachteulen, Partylöwen – wenn das Wochenende ruft, gibt es für sie kein Halten mehr. Clubs, Diskos und Bars ziehen diese wilden Horden magnetisch an. und für die Untermalung mit den richtigen Tunes sorgt er: der DJ. Er ist musikalischer „Direktor“ und gibt der Nacht Gestalt, vielleicht sogar Charakter, und er weiß genau, wie man einem wilden Haufen Tanzwütiger glühende Wangen und leuchtende Augen beschert. Auch der „Saitensprung“ hatte Hummeln im Hintern, verbrachte eine Nacht mit DJ René Gutt im Café Glocksee in Hannover und begleitete den Dirigenten der Nacht hinter seinen Reglern.

DJ Rene Gutt
DJ Rene Gutt

Endlich ist Freitag. Living for the weekend. Die Woche war anstrengend. Eigentlich irrwitzig, dass man sich jetzt nicht auf sein Bett freut. Stattdessen stehen die Tanzschuhe bereit. Feiern bis zum Morgengrauen. So die eine Seite. Auf der anderen Seite ist da René Gutt, auch seine Woche war anstrengend – und ist noch nicht zu Ende. Er macht sich auf den Weg zur Arbeit. Es geht „Auf.Indie.Disko“, so das heutige Motto im Café Glocksee. Um 22.30 Uhr betritt René durch den Nebeneingang des Clubs, der in eine Art Abstellkammer-Küchen-GarderobenBüro-Kombination führt, seine heutige Wirkungsstätte und holt sich als erstes eine Cola. Seinen weißen 80er-Jahre-Tenniskoffer in der einen, die Cola in der anderen Hand, hinauf zum DJ-Pult. Wie?Und wo sind die Platten, die CDs? „Alles hier drin“, sagt er lachend und deutet auf sein Retrogepäck. „Im Januar habe ich komplett auf Mp3 umgestellt.“ Ein wenig unglamourös, aber es sei praktisch, wenn man morgens nicht mehr diverse Koffer nach Hause schleppen müsse.

René macht sich daran, sein minimalisiertes Equipment aufzubauen. Plötzlich hallt ein „Aaaach“ durch den (noch) blitzblank polierten Club. „Ich wollte heute Abend Videoimpressionen per Beamer an die Wand projizieren. Aber da erkennt man ja überhaupt nichts.“ Stimmt, Bewegungen sind zu erkennen, Lichtspiele, war das da gerade jemand auf einem Fahrrad? Egal, das hat auch Charme, und René wuselt eh schon wieder oben am Pult herum. Es ist ein komisches Gefühl, einen Club komplett leer und mit voller Beleuchtung zu sehen. Die Tanzfläche glänzt mit kalten Fliesen, an der Bar werden Strohhalme drapiert, die Barhocker stehen in Reih und Glied, die Akustik ist verändert. Alles wurde auf Null gesetzt. Und auch René polt sich jeden Abend, an dem er auflegt, immer wieder neu. „Ich stelle mir vorher keine Playlist zusammen. Ich finde es äußerst schwierig, die Dramatik einer Nacht im Vorhinein aufbauen zu wollen. Ich bin da spontan.“

23:00 uhr
Start. Die Lichter sind gedimmt, der Eingang wird aufgeschlossen. René legt den ersten Song auf: „All We Ever Wanted Was Everything“, ein Bauhaus-Cover von MGMT. Aber so ganz aus dem ärmel geschüttelt und spontan ist dieser Song nun auch wieder nicht. „Die ersten zwei und die letzte Stunde gehören dem DJ.“ Deshalb hat der 31-Jährige so einige Songs im Kopf, die er in dieser zeit spielen will. Außerdem hält er sich an selbst auferlegte Regeln und Ideen. So sei beispielsweise höchstens jeder dritte Song unbekannt oder neu. Häufig bastele er an kleinen 30-Minuten-Konzepten, wie zum Beispiel einer Pfeifsong- oder Berlin-Phase. Gerade ist René Alleinunterhalter im wahrsten Sinne des Wortes. Noch keiner hat sich um kurz nach 23 Uhr auf die Tanzfläche verirrt. Kein Wunder, immerhin ist Fußball-EM, draußen ist es immer noch angenehm warm, und auf dem zweiten Floor im obergeschoss brettert seit 21 Uhr beharrlich eine PunkHardcore-Band, deren Fans eben nicht zielgruppe des britischsten aller DJs in Hannover sind. Um 23:18 Uhr wird zumindest das erste Bier am Tresen verkauft. Als sich wenig später Blur mit „The Universal“ schwülstig aus den Boxen pellt, zieht es die ersten mit ausgestreckten Armen auf die Tanzfläche. Nur Jungs – und vier Minuten später ist die Tanzfläche schon wieder verwaist, und die kleinen Laserpunkte der Diskobeleuchtung tanzen allein über die nackten Fliesen. René meint ein wenig amüsiert: „Man muss eben erst die Mädchen zum Tanzen bringen, bevor die Jungs kommen.“

DJ Rene Gutt
DJ Rene Gutt

23:56 uhr
Nebel. Das erste Mal an diesem Abend. So langsam wird’s gemütlich, abgesehen von der Musik, die sich von 90 Dezibel auf nun 100 Dezibel gesteigert hat. René lässt die Nebelmaschine auch noch ein zweites Mal zischen. Der Ventilator, der links etwas oberhalb des DJ-Pults montiert ist, läuft ebenfalls, denn es wird wärmer, und ganz langsam nimmt die Party an Fahrt auf. Das Verhältnis auf dem Tanzboden hat sich inzwischen bei elf zu fünf eingepegelt. Elf Jungs, fünf Mädchen. So ganz geht Renés Rechnung damit zwar nicht auf, aber bestimmt nur, weil Pete Doherty gerade so heftig lamentiert.

00:15 uhr
Love. Die ersten Gäste, die sich vorhin schon in das kleine, mit alten Ledersofas ausstaffierte Séparée verzogen hatten, knutschen gerade heftig auf der Tanzfläche. In diese romantische Szenerie passt hervorragend Renés erste Konzeptphase, die wohl die überschrift „Strand, Surfen, Sonnenbaden“ trägt: Battles eröffnen mit Steel Drum in „Dominican Fade“, The Drums wollen zum Surfen animieren, Retro Stefson wecken Sehnsucht mit „Karamba“, die die Beach Boys mit „Fun, Fun, Fun“ in den kalifornischen Kosmos katapultieren. The Young Friends schließen den kurzen Trip zum Beach mit „Make out Point“. Nach diesem schönen Intermezzo jetzt alle mal den DJ küssen, denn schließlich ist er bestimmt ein Frauenmagnet, ein Mini-Rockstar, eben einer, den man lieben muss, weil er Tonnen von Musik kennt. „Nein, so was kommt nicht vor. Ich dachte zwar, meine Berufe als Erzieher und eben nebenberuflich als DJ würden alle Frauen anziehen“, schmunzelt der 31-Jährige, der fernab der Nacht anderthalb- bis dreijährige Kinder betreut. „Aber das hat sich nicht bewahrheitet.“ Des Öfteren wird René aber als reine Jukebox angesehen. Dann versuchen die Gäste, den eigenen USB-Stick oder das Handy ans Mischpult zu klemmen. Aber bei netten Songwünschen sagt René nicht nein.

00:56 uhr
Konkurrenz. Die Hardcore-Punk-Band vom oberen Floor lässt nun schon ihre dritte zugabe vom Stapel. Anscheinend ist dieser Abend eher schlecht für Britpop, Indie und Indietronic geeignet. So schlecht wie das Frauenklo in der oberen Etage – zugekotzt. Schnell wieder runter, da ist zum Glück nur ein WC mit Toilettenpapier verstopft. Von der sterilen Anfangssituation im leeren Club ist wahrlich nichts mehr übrig.

01:48 uhr
Manie. Es wird voll. Phoenix haben mit „Lisztomania“ die vormals scheinbar geschlossenen Türen endgültig aus den Angeln gerissen. Das Verhältnis zwischen Jungs und Mädchen ist ausgeglichen. Das Publikum gibt sich heute Abend anscheinend ein wenig exzentrisch: hier eine Morrissey-Frisur, dort Lovefoxx-Leggings, da ein eng geschnittenes Mod-Hemd, drüben ein lässiger Fedora-Hut. Die Mannschaft an der Bar hat jetzt richtig Betrieb und schiebt die Bierflaschen wie im wilden Western über den Tresen – allerdings nur über die kurze Seite, man will ja nicht zu viel riskieren. René baut derweil einen witzigen Kniff in sein Set ein: Nachdem gerade „Love Will Tear Us Apart“ von Joy Division lief, wird direkt im Anschluss zu „Let’s Dance To Joy Division“ von den Wombats getanzt. Und das machen jetzt auch die Laserpunkte der Diskobeleuchtung: Sie schweben über den wild tanzenden Gästen. 03:01 uhr Pausenfüller. So gut wie die Leute jetzt unterwegs sind, so lang ist der Abend auch schon. René hat bisher noch nicht ein Mal sein Refugium verlassen. Denn schließlich weiß man ja nie, wie lang die Schlange vorm stillen Örtchen wirklich ist und ob man es wieder pünktlich an die Regler schafft. Da kann ein Song schon beträchtlich kurz werden. „Ich spiele in diesem Fall immer gern ‚Blue Monday‘ von New order oder einen langen Club Mix von Daft Punk. oder diesen hier“, verrät René, legt sogleich „The Rockafeller Skank“ in der Full Version auf und verschwindet Richtung Klo. Von Fatboy Slim kriegt eine Person allerdings nichts mehr mit. Alle Viere von sich gestreckt, liegt ein junger Mann mit verschwitztem T-Shirt im hinteren Teil der Glocksee auf einer Couch – auch er macht gerade Pause und schläft den Schlaf der Gerechten.

DJ Rene Gutt
DJ Rene Gutt

04:22 uhr
Wunschliste. Am DJ-Pult, dessen Glasbalustrade so hoch ist, dass man sich auf die zehenspitzen stellen muss, um die wippenden Köpfe der Nachtschwärmer zu sehen, bildet sich gerade eine Schlange. „Spielst du ‚Ghostbusters‘“, fragt ein Mädchen mit Pferdeschwanz und geringeltem Achselshirt. „Bei höflichen und charmanten Songwünschen kann man ja kaum nein sagen“, erzählt René und verweist gleichzeitig auf allzu aufdringliche oder fehlplazierte Wünsche. „Wenn sich jemand AC/DC wünscht, dann sage ich ihm, er solle doch noch mal ins Programm gucken, ob er hier heute Abend wirklich richtig ist. Und ‚Sex on Fire‘ von den Kings of Leon werde ich niemals spielen.“ Ein zweites Mädchen schnappt sich den bereitliegenden Kuli und einen zettel und notiert ihren Songwunsch fein säuberlich und typografisch sehr ansprechend. Keine Herzchen – aber Pfeile, Punkte und Unterstreichungen müssen schon drauf sein. Sie übergibt den zettel, und drei Songs später wird ihr Song gespielt: Robyn mit „Dancing on My own“. Es ist an der zeit, die abgegebenen Wunschzettel genauer zu inspizieren. Viele sind es, die sich da gestapelt haben. Und komische. Roxette hat sich wer gewünscht oder „Bakerman“ – ja, diesen Song mit dem Fallschirmvideo von Laid Back, allerdings von The Doors, da hat wohl jemand was verwechselt. Toll auch: „Ich hasse Boy (die Band)“ oder „Sabotage vonne Beastie Boys R.I.P. MCA“. Aber am besten: ein zerknüllter zettel mit dem Statement „Draußen ist Sonne“ (tatsächlich scheint sie mittlerweile) und ein weiteres Blatt mit der in Großbuchstaben formulierten Feststellung: „ICH BIN PAUL MCCARTNEY.“

05:10 uhr
Scheideweg. Die Blütezeit scheint vorüber, so langsam leert sich der Tanzflur. Beim Durchschreiten der immer noch stickigen und von hoher Luftfeuchtigkeit triefenden Glocke fällt auf, wie klebrig der Boden ist und dass sich etliche Glasscherben in die Schuhsohlen fressen. Die Spuren der Nacht, eine „Champagne Supernova“, die sich im Club breitgemacht hat. Wie passend, dass oasis das gerade verkünden.

07:02 uhr
Ende. In den letzten anderthalb Stunden ist nicht mehr allzu viel Aufregendes passiert. Aber trotz geringfügiger Müdigkeit bleibt eine erlesene Menge Tanzender mit letzten Resten in den Gläsern und Lächeln auf dem Gesicht standhaft. Mit David Bowie und A-Ha hat René ein letztes Mal für hitziges Aufbäumen auf dem Tanzboden gesorgt. Nun geht es an den Abgesang dieses Diskoabends. „Es war heute sehr anstrengend“, resümiert er und meint damit die Startschwierigkeiten und die leere Tanzfläche zu Anfang. René hat 19 Songwünsche erfüllt, immerhin 13,9 Prozent der 136 Songs, die in dieser Nacht, in acht Stunden, gespielt wurden. Erik Saties „Troisième Gymnopédie“ ist der letzte. René packt, ein wenig erschöpft, sein Equipment in den weißen Tenniskoffer, holt sich seine Gage aus dem Büro, bestellt sich ein Taxi („das ist hier inklusive“) verabschiedet sich von allen, die noch hinten im Büro zu finden sind, und raucht draußen hastig eine zigarette, bevor das Taxi ihn nach Hause dirigiert.

Katharina BocK

 

Saitensprung Magazin


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